Fortsetzung
LEHRE ...
77
Aus zarten Blumen
wobst Du ihr Gesicht,
Gabst ihm
des Mondes Glanz, der Sonne Licht,
Und dann verbotst Du mir,
sie anzusehen! -
Das
heißt doch: Kehr den Becher und
gieße nicht!
78
Solche Verbote, wo
es ausgeschlossen,
Daß
man sie einhält, sind denn das nicht Possen?
Ist das
nicht so, als riefst Du: «Umgedreht
Den vollen
Becher, doch nichts ausgegossen?»
79
Du hast uns tausend Fallen aufgestellt
Und sprichst: «Verdammt ist der, der in sie
fällt!»
Wir sündigen - und tun doch Dein Gebot.
Denn Dein Gebot beherrscht ja doch die Welt. -
80
Du mischtest mich zur Freude wie zum Leide.
Du wobst in mir die Wolle und die Seide,
Gutes und Böses sind in mir von Dir,
In mein Geschick schrieb Deine Hand sie beide.
81
Frei von der Welt ward ich noch nie hienieden,
Und nie noch war ich mit mir selbst zufrieden.
Solang ich hier schon in die Lehr geh,
Mir war noch keine Meisterschaft beschieden.
82
An dieser Welt bleib ich doch immer kleben,
An
ihr erlahmt mein noch so hohes Streben
Kein Wissen,
das mich über sie erhebt,
Und kein Verstand, um ohne sie zu leben. -
83
Die einen verfielen in Selbstgefälligkeit,
Die andern hoffen auf die Herrlichkeit
Von Huris und
Palästen. Ach, wie weit
Sind beide vom Weg zu Dir, wie weit, wie weit! -
84
O Herr! von Selbstgefälligkeit erlöse mich!
Lenk
mich zu Dir, und von mir selbst erlöse mich!
Solang
ich nüchtern bin, kenn Gut' und Böses ich,
Vergessen laß im Rausch Du Gut' und Böses mich.
85
Als gestern mich mein Fuß ins Weinhaus trug,
Sah einen trunknen Greis ich, den ich frug:
«Fürcht'st du dich nicht vor Gott?» Er
aber spach:
«Gott ist ja gändig, trink! Du bist nicht
klug.»
86
Daß einst ich trinken würde zu meiner Zeit,
Hat Gott
gewußt seit aller Ewigkeit.
Drum reich mir nur den Trunk, denn tränk ich nicht,
Wo bliebe da Seine Allwissenheit?
87
Khajjam!
ob deiner Süden Last was schämst du dich?
Warum zu beßrer Einsicht nicht bequemst du dich?
Dem, der nicht sündigt, wird auch nicht verziehn;
Vergebung folgt der Sünde - drum was grämst du dich?
88
Nur
durch mein Trinken, glaubt mir, blüht
die Schenke,
Der Wirt wär
längst bankrott, wenn ich nicht
tränke.
Gern tät ich Buße, doch die Wohltat fehlt,
Wenn ich nicht mehr den
Schritt zum Weinhaus lenke.
89
Warum denn nur den Weltlauf angeklagt?
Warum mit Grübeln nur das Herz zernagt?
Sei guter Dinge, denn man hat dich ja
Von allem Anfang nicht um Rat gefragt.
90
Daß ich geboren ward, verdank ich Deiner Huld,
Mein hohes Alter Deiner Langmut und Geduld.
Nach hundertjähr'gem Sündenleben will ich sehn,
Ob Deine Gnade größer oder meine Schuld.
91
Ich
hab auf Deine Huld mich ganz und gar verlassen
Und Deiner Lehren Weg seit manchem Jahr verlassen
Wo Deine Gnade strahlt, ist ja doch alles gleich:
Versäumt ist wie Geschehn, Getan wie Unterlassen.
92
Der Böses du getan und Gutes unterlassen
Und die auf Gottes Huld und Gnade hast verlassen,
Glaub mir! trotz Gottes Huld ist doch am Jüngsten Tag
Versäumt nicht wie Geschehn, Getan nicht Unterlassen.
93
Alle
Begierden schlug mir aus dem Sinn ich,
Und
aller Menschen
Freundschaften gab hin ich -
Doch, lebt ich wie ein Mönch im Klosten auch,
Du weißts und ich: so wie bin, so bin ich.
94
O halt mir fern des Lebens bange Sorgen,
Mein böses Tun halt vor der Welt verborgen;
Laß heut mich glücklich sein, und Dir dann
In Deiner Gnade gut dünkt - tu mir mogen.
95
O
Frömmler, einen Wunsch nur mir erfülle!
Spar deinen guten Rat und schweig mir stille.
Glaub mir, ich geh gradaus, du siehst nur schief -
Drum laß mich gehen und kauf dir eine Birlle!
96
Zu dem Propheten sollt ihr gehen und sagen:
«Es
läßt Khajjam dich
grüßen und dich fragen:
Wie kommts, daß saure Milch du mir erlaubt
Und
daß ich süßem Weine soll
entsagen?»
97
Geht zu Khajjam und sagt, ich laß ihm sagen:
«Ein
Tor nur kann so unvernünftig fragen.
Den Weisen trifft ja nicht mein Weinverbot,
Allein dem Toren mußt ich ihn versagen.»
98
Was heut hierher mich trieb? Ich sag es unverhohlen:
Ich hatt in der Moschee 'nen Betteppich gestohlen,
Der ist jetzt alt und schlecht, drum kam - ein seltner Gast -
Ich heute wieder her, 'nen neuen mir zu holen.
99
Mir steht nicht die Moschee und nicht die Kirche offen,
Mein Wesen
war gemischt, Gott weiß aus was für
Stoffen!
Ein Derwisch ohne Glauben, ein Weibsbild ohne Reiz,
Auf dieser Welt kein Heil, auf jene Welt kein Hoffen.
100
In Kirchen und Moscheen und Synagogen
Wird man um seiner Seele Ruh betrogen.
Doch dem, der der Natur Geheimnis ahnt,
Wird
keine Angst vorm Jenseits vorgelogen.
101
Hölle und Paradies sah keines Menschen Blick.
Wer kam denn je zu uns aus jender Welt zurück?
Umsonst ist unsre Angst, vergebens unser Hoffen,
Ein Trug des Jenseits Qual, ein Wahn des Jenseits Glück!
102
Wozu
in Kirchen und Moscheen die Plage?
Wozu nach Höll und Paradies die Frage?
Wo auf die Tafel doch des Meisters Hand
Das, was geschehen sollt, schrieb am ersten Tage!
103
Kaaba
und Götzenhaus bedeuten Knechtung,
Der Christen Glocken, hört, sie läuten Knechtung
Kirche und Heil'ge Schnur und Rosenkranz und Kreuz,
Wahrlich, sie alle nur bedeuten Knechtung.
104
Rastlos durchwandert ich die Welt wohl viele Male,
Zu suchen nach Dschemschids weltspiegelndem Pokale.
Doch als der Meister mir den Kelch genau beschrieb,
Merkt
ich, ich selber war Dschemschids berühmte Schale.
105
Der ganzen Schöpfung letzter Zweck sind wir,
Im Weltenauge sind die Sehkraft wir.
Die ganze Welt ist wie ein großer Ring,
Wir sind der Edelstein, des Ringes Zier.
106
Ein Wille außer Ihm im All regiert nicht,
Das, was Sein Wille nicht befiehlt, passiert nicht.
Alles,
was ist, ist so, wie Ers gewollt.
Was nicht so ist, wie's sein soll, existiert nicht.
107
Da doch nur eintrifft, was Er zugelassen,
Wie magst du da noch große Pläne fasse
Lad dir nicht mehr auf, als du tragen kannst;
Zuletzt heißts doch nur: gehn und gehen lassen. -
108
Wie einen Poloball die Kreuz und Quer
Schlägt dich das Schicksal, wirft dich hin und her.
Sag nichts und füg dich drein, denn das Warum
Von allem weiß nur Er allein, nur Er.
109
Geht es dir gut, so ists nur Gottes Huld;
Und geht dirs schlecht, bist du daran nicht schuld.
Ohne dein Mittun wird die Welt regiert,
Drum gibst nur eine Weisheit, die Geduld!
110
Du fragtest mich nach der Erscheinungswelt,
Willst
wissen, was der Weise von ihr hält? -
Ein
Nebelbild, das aus dem Weltmeer steigt
Und wiederum zurück ins Weltmeer fällt.
111
Dies
Spiegelbild der Welt ist leerer Schein,
Kein Weiser hält es für das wahre
Sein.
Seit
guter Dinge, trink der Traube Saft,
Er wird von diesem Trugbild dich befrein.
112
Der Tropfen weint: «Wie bin vom Meer ich weit!»
Das Weltmeer lacht: «Vergeblich ist Dein Leid!
Sind
wir doch alle Eins, sind alle Gott -
Uns trennt mach nur das winz'ge Pünktchen >Zeit< -
»
113
Wir Zwei sind einem Zirkel zu vergleichen:
Wenn auch die Spitzen auseinanderweichen,
Sind wir doch nur ein Körper, und der Kreis
Muß wieder seinen Ausgangspunkt erreichen.
114
War auch der Tugend Kleinod nicht das meine,
Strahlt
ich auch nicht in voller Sündenreine,
So zweifl ich doch an Deiner Gnade nicht,
Nannt ich doch niemals Zwei das ewig Eine.