Wer hat
dich, Himmelstochter, heute nacht
Zu mir, dem Sehnsuchtskranken, hergebracht,
Der ohne dich verschmachtet? Wessen Hand
Hob deinen Schleier und zeigt' mir deine Pracht?

144
Auf dieser Erde ohne Rast und Ruh
Bracht ich im Suchen viele Jahre zu:
Da war kein Mond, der dir an Glanze glich,
Keine Zypresse war so schlank wie du!
145
Ich bin befreundet mit dem Trennungsschmerze,
Wo ich auch geh und steh, füllt er mein Herze.
Dein nur gedenkend seufz ich Tag und Nacht,
An meinem Bette brennt der Sehnsucht Kerze.
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O weh um jenes Herz, in dem kein Feuer brentt,
Das nicht die here Glut der Liebessonne kennt;
Wer einen ganzen Tag ohn Liebe hingebracht,
Tut recht, wenn jenen Tag er 'nen verlornen nennt.
147
Der
Schöpfung Zweck und Streben ist die Liebe,
Die Kraft im Saft der Reben ist die Liebe,
Sie ist der Reim im Lied der Jugenzeit,
Merk auf mein Wort, das Leben ist die Liebe.
148
Wahrhaft Verliebten ist Schön und Häßlich
gleich;

Sie fragen
nicht, ob Höll, ob Himmelreich,
Ob ihre Kleidung Lumpen oder Samt,
Ihr Pfühl ein Backstein oder Polster weich.
149
Wenn ich einst sterbe, waschet mich mit Wein,
Ein lust'ges Trinklied soll mein Grablied sein!
Und wenn am jüngsten Tag man nach mir fragt,
So sucht im Staub der Schenke mein Gebein.
150
Ihr Freunde, wenn zu fröhlichem Gelage
Ihr euch vereint und frei von aller Plage
Euch aneinander freut, gedenket dann
Des armen Zechgenossen frührer Tage!